Warum ich schreibe

Warum ich HIER schreibe.

Warum ich hier, online, im Internet, für jeden lesbar schreibe. Warum ich Inhalte von meinem Leben, Gedanken, Erfahrungen, Träume, Ängste teile.

Schreiben fällt mir leichter, als reden. Egal in welcher Sprache.

Schreiben lässt Zeit, richtige Formulierungen zu finden.

Schreiben lässt so viel Raum, alles in Worte zu fassen, das in Worte gefasst werden will.

Schreiben lässt Zeit und Raum, alles an die richtige Stelle zu rücken.

Die Anfänge

Ich bekomme in der Volksschule ein Tagebuch geschenkt. Mein erstes Tagebuch hat ein kleines Schloss mit Schlüssel und auf dem Cover ist die Diddl-Maus. Ich glaube nicht, dass ich damals viel niedergeschrieben habe. Schreiben habe ich gerade eben erst gelernt und ist noch ziemlich anstrengend. Außerdem verliere ich bald den Schlüssel. Heute würde ich die kindlichen Gedanken gerne lesen, aber ich weiß nicht mehr, wo das Buch liegt.

Dann in der Hauptschule schreibe ich in ein kleines Buch mit blauem Einband und einem Delfin auf dem Cover. Auf das Cover schreibe ich mit schwarzem Edding, der zu der Zeit cool war:

„Liebe, den du liebst. Hasse den, den du hasst. Aber hasse nie den, den du geliebt hast.“

Ich, 12, irgendwo im Internet gelesen und als für mich passend empfunden

Falls es noch nicht zu erraten war, ja ich hatte ein gebrochenes Herz.

Ich bin unsterblich verliebt in S.E. – die Abkürzung für ihn in diesem Buch und auch überall sonst, Gekritzel in Schulbüchern, auf Einbänden, auf Tischen, eigentlich einfach überall, wo ich kritzeln konnte. S.E. kennt mich zwar, weiß (wahrscheinlich) sogar meinen Namen, immerhin wohnen wir im selben Dorf und warten morgens und manchmal (wenn ich Glück hatte) auch Nachmittags auf derselben Bushaltestelle. Außerdem schaue ich ihn bei jeder Gelegenheit an. Es ist eigentlich unmöglich, dass er das nicht bemerkt hat. Trotzdem wechseln wir nie mehr als ein paar Worte miteinander. Ausführliche Gespräche oder gar Situationen, in denen wir uns küssen werden dafür in Endlosschleife in meinem Kopfkino gezeigt.

In diesem blauen Buch mit Delfin vorne drauf stehen also alle meine Teenager-Gedanken zum Thema Jungs, Liebe, Sex, Freundinnen, Familie und Schule. Schreiben hilft mir in dieser Zeit, oder besser: durch diese Zeit. Das Schreiben nur für mich, ohne Ziel und ohne Endstation für die Worte – einfach nur Schreiben, in Sätze fassen, was in meinem Kopf vor sich geht.

Zu der Zeit lese ich viel, unter anderem Eragon. Das Buch motiviert mich, selbst ein Buch zu schreiben, natürlich über Drachen, die Wesen faszinieren mich nämlich auch jetzt, 15 Jahre später noch. Ich beginne also mit dem Buch „Der Schicksalsdrache“.

Während der Zeit in der Handelsakademie lerne ich die ersten Schritte zum „richtigen“ Schreiben durch die strengste, anspruchsvollste, herausforderndste, kritischste und interessanteste Lehrerin, die uns unterrichtet. Sie unterrichtet Deutsch und Turnen, lässt uns aufwändige Hausaufgaben erledigen, jeden Tag Zeitung lesen, schwierige Texte und Bücher interpretieren, Gedichte hinterfragen, argumentieren, diskutieren und bringt uns damit etwas bei, das uns sonst keine Lehrperson beibringen könnte: kritisches und vernetztes Denken. Sie macht uns offen für die Gedanken und (u.a. historischen) Hintergründe anderer Menschen, der Autoren und der Künstler der Werke, die wir betrachten aber auch für das Geschehen auf der Welt. Sie hatte keine Gnade bei vergessenen Hausaufgaben oder wenn man es wagt, sich im Turnunterricht wenig zu bewegen. Trotzdem oder genau deswegen ist sie eine der besten Lehrerinnen für das Leben, die wir uns wünschen konnten. Eine von denen, die ich nicht vermissen möchte beim Formen meines jugendlichen – und damit meines heutigen – Ichs.

Die Wunder um mich herum

Hin und wieder passieren mir Wunder. Hin und wieder erlebe ich Situationen im Alltag, die etwas Wunderbares in sich tragen, wenn nur genau hingeschaut wird. Wunder umgeben uns ständig und haben das Potenzial uns zu erfüllen, innerlich zufrieden und ausgeglichen zu machen. Viele Momente, die im ersten Augenblick alltäglich erscheinen, haben das Potenzial uns innerlich reicher zu machen, als es Materialistisches je könnte. Wir haben die Wahl, wie wir Momente erleben wollen:

  • Eingefärbt in eine triste, negative Stimmung, die Unzufriedenheit mit der eigenen Situation und Unfrieden mit anderen Menschen schafft.
  • Oder eingefärbt in einem positiven, hoffnungs- und liebevollen Licht, das uns offen macht für Entspannung im Inneren.

Hin und wieder erlebe ich eindrucksvolle Momente in der Natur, die unbedingt geteilt werden müssen. Weil ich hoffe, jemand anderem denselben Blick für die Schönheit, die uns umgibt, mitgeben zu können. Weil ich hoffe, jemand anderen zu inspirieren, genauer hinzuschauen, sich Zeit zu geben, um überhaupt hinzuschauen. Weil ich hoffe, jemand anderem damit zu ermöglichen, dasselbe Glücksgefühl zu fühlen. Weil ich hoffe, dass die Welt dadurch ein bisschen lichtvoller wird. Weil ich auf viel hoffe, auf etwas Großes, vor allem aber auf etwas Gutes.

Hin und wieder erlebe ich auch etwas Magisches, etwas, das der Verstand nicht erklären kann, so sehr er es auch versucht. Manchmal erlebe ich Spirituelles, manchmal Schönes, manchmal Angsteinflößendes. Trotzdem möchte ich damit nicht länger schweigen, die Welt kann ein wenig Magie ganz gut vertragen denke ich.

Das Dunkle in mir

Hin und wieder erlebe ich dunkle und schwere Zeiten in meinem Inneren. Negative Gedanken, die mich einholen, in meinem Kopf Kreise ziehen, mich verfolgen und quälen. Manchmal sind es Gefühle der Gefühllosigkeit, Leere, Antriebslosigkeit, Kraftlosigkeit, Dunkelheit, Farblosigkeit, maßloser Überforderung, Gefangen-sein, Wo-anders-sein-wollen, Hinter-einem-Vorhang-stecken, Zweifel, Ängste und noch so viel mehr. Allgemein bekannt unter Diagnosen wie „Depression“, „Depressiver Verstimmung“, „Burn-Out“ – Namen für unangenehme psychische Zustände, die mich in meinem Leben begleiten.

Ich bin mir sicher, ich bin nicht die Einzige, der es so geht, nicht die Einzige, die diese Gefühle kennt. Ich bin mir auch sicher, ich bin nicht die Einzige, die entschieden hat, dagegen anzukämpfen.

Ich bin nicht die Einzige, die gelernt hat und immer noch lernt mit diesem Persönlichkeitsanteil umzugehen und immer wieder Rückschläge einzustecken, nur um stärker aus der Situation hervorzugehen.

Ich bin nicht die Einzige, die ständig dabei ist Mittel und Werkzeuge zu finden, in dunklen Stunden, Tagen oder Wochen das Licht nicht aus den Augen zu verlieren und auch in Zeiten der Kraftlosigkeit irgendwo Halt zu finden.

Ich bin nicht die Einzige, die unerwartet wieder zurückgeworfen wird in Gedanken- und Gefühlsmuster, von denen sie glaubt, sie seien eigentlich schon aufgelöst, aufgearbeitet, erledigt und damit Teil der Vergangenheit.

Ich bin nicht die Einzige, die jeden Tag bis zur letzten Minute auskostet, genießt und aufsaugt, an dem es ihr gut geht, an dem sie sich nicht um diesen eher komplizierten Persönlichkeitsanteil in ihr kümmern muss, an dem sie Lebensfreude empfindet und behaupten kann „Ich bin froh, am Leben zu sein.“

“Seien Sie verrückt! Aber lernen Sie, verrückt zu sein, ohne im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Seien Sie mutig genug, anders zu leben.“

Paulo Coelho, Veronika beschließt zu sterben

Ich bin nicht die Einzige, für die jeder Tag des Nicht-Kämpfen-Müssens ein Geschenk ist, weil sie weiß, es werden Tage folgen, an denen sie zurückkehrt an die Front des Kriegs in ihrer Gedankenwelt.

Ich bin nicht die Einzige, die sich des schwarzen Lochs im Inneren bewusst ist, das da vor sich hin wartet und sie jederzeit wieder einholen kann, ganz gleichgültig den täglichen Anstrengungen gegenüber, die sie darin steckt, nicht davon eingeholt zu werden.

Ich bin nicht die Einzige, die diesen Weg beschreitet: den Weg, „sich Hilfe zu holen.“ Eine Psychotherapie anzufangen, Medikamente in Anspruch zu nehmen und nicht zuletzt: Selbst an mir zu arbeiten, ständig.

Das Thema psychische Gesundheit erfährt in letzter Zeit mehr Aufmerksamkeit, positive Aufmerksamkeit. Es wird anerkannt, dass es vielen Menschen in unserer Gesellschaft nicht gut geht. Nicht weil ihr Bein gebrochen oder ihre Schulter ausgekugelt ist, sondern weil ihre Gedanken ihr größter Feind geworden sind und sie ihr Leben, egal wie erfüllt es von außen erscheinen mag, manchmal als nicht mehr lebenswert empfinden. Es gibt immer mehr niederschwellige Initiativen, um uns allen Werkzeuge in die Hand zu geben, damit wir uns besser um unsere psychische Gesundheit kümmern können.

Ich bin sehr froh darum und wünsche jedem, dass er findet, was er braucht. Denn der Umgang mit der eigenen Psyche und das Arbeiten damit will gelernt sein. Alle Angebote nützen nichts, wenn wir nicht wissen, wie wir damit umgehen sollen, wie wir den Zugang dazu finden, wie wir diese Angebot für uns richtig nützen können.

„Wenn nur jeder seinen inneren Wahnsinn kennen und damit leben könnte. Wäre die Welt dafür ein schlechterer Ort? Nein, die Menschen wären gerechter und glücklicher.“

Paulo Coelho, Veronika beschließt zu sterben

Deshalb schreibe ich. Weil ich nicht die Einzige bin, aber eine von Wenigen, die darüber spricht. So scheint es mir zumindest. Ich bin nicht die Einzige, die diesen Weg und seine Tücken kennt. Ich bin noch mitten drinnen, ich mache Fehler, ich bin alles andere als allwissend, ich bin nicht geheilt und ich bin ständig am Dazulernen. Deshalb schreibe ich. Um offen zu legen, was sonst verborgen bleibt. Um Anderen meine Mittel und Werkzeuge, mein Lernen, mein Scheitern, meine Erfolge zu zeigen.

Ohne Erwartungen schreibe ich, aber mit der Intention damit zu inspirieren, zu motivieren, mehr Liebe in die Welt zu bringen und mehr Bewusstsein zu schaffen für das Wunder unserer Existenz.

Ich, 28, mit dem Wunsch Gutes zu schreiben

Um die Lebensfreude, die so nah am Abgrund sein kann, in Worte fassen zu können, damit sie um sich greift und vielleicht – nur vielleicht – auch bei anderen vorbeischaut, die sie in ihrem Leben brauchen.

Ich bin keine Ärztin, keine Psychotherapeutin, ich habe keine Ausbildung, die Sozialarbeit ermöglichen würde. Ich kann keine wissenschaftlich fundierten Ratschläge erteilen, möchte ich auch gar nicht. Diese Verantwortung möchte ich nicht. Ich möchte nicht angeben mit meiner Art die Welt zu sehen. Ich habe keinen Grund damit anzugeben, regelmäßig werde ich vom Leben in die Schranken gewiesen.

Ich gebe mir Mühe einen vertretbaren Mittelweg zwischen gesundem Egoismus und offenem Herzen und Liebe zu allem zu finden.

Ich gebe mir Mühe für mich einzustehen und meinem Ego dabei nicht zu viel Leine zu geben.

Ich gebe mir Mühe die moralischen Grundprinzipien des Yoga in meinem Alltag zu leben, um hinter meinen Entscheidungen stehen zu können.

Ich gebe mir Mühe, die Wahrheit auszusprechen und ohne Lüge zu handeln, auch wenn das nicht jedem gefällt und schwer fällt zu glauben.

Ich gebe mir Mühe in dieser Gesellschaft kein Schaf zu sein, das mitläuft aber trotzdem nicht der Arroganz der Einzigartigkeit zu verfallen.

Ich gebe mir Mühe einen guten Job zu machen, ohne mich dabei selbst zu verraten.

Ich gebe mir Mühe eine gute Partnerin zu sein, ohne mich selbst dabei zu verlieren.

Ich gebe mir Mühe mir Pausen zu gönnen, ohne dabei zu faul zu werden.

Ich gebe mir Mühe Ziele zu verfolgen, ohne dabei zu hell zu (ver-)brennen.

Ich gebe mir Mühe, zu teilen, was ich erfahre in dieser verrückten Welt mit der Intention damit mehr Gutes zu erschaffen.

Ich bin einfach nur eine Frau, die ihr Leben lebt und sich Mühe dabei gibt, sich um sich und ihre Mitmenschen zu kümmern. Und ich finde, diese Welt hat eindeutig mehr Liebe, Offenheit und Frieden nötig.

Weshalb soll ich Liebe, Offenheit und Frieden dann nicht mit Texten nach außen tragen?


Kommentare

Eine Antwort zu „Warum ich schreibe”.

  1. Gefällt mir, auch wenn es, man könnte fast sagen “antiproportional” verwand scheint. Vielen Dank!

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