Heute. Was ist heute? Wie heißt heute?

Viel. Viel ist heute.

05:30 Uhr Meditation, wie jeden Tag.

Ich schalte den Wecker aus und sehe dabei eine Nachricht einer Freundin. Sie möchte mir sagen, wie schön sie meine Texte hier findet. „…so berührend, so tief einblickend! So achtsam anderen gegenüber und so viel Liebe! Zu deinem Körper, den Phasen, von Ben…danke!“ Ich sage Danke! Mein Herz geht auf und freut sich, dass das was ich schreibe so einen Einfluss haben kann auf Leserinnen. Danke!

Eigentlich will ich mich danach gleich auf den Weg in die Arbeit machen. Denke ich gestern Abend zumindest. Heute, 20 Minuten später liege ich wieder im Bett. Die letzten Minuten auskosten, bevor wir aufstehen und aneinandergelehnt Zähne putzen. Irgendetwas nuschelnd mit Zahnbürste im Mund mit den letzten Resten aus der Zahnpastatube.

Dann mit dem Auto in die Arbeit. Heute ausnahmsweise. In der Arbeit wartet viel Arbeit, da fühlt sich das Fahrrad eher nach Stress an. Ben fährt mich, der Gentleman. Er bleibt ein Gentleman, bis er erzählt wieviel sein Gehaltsplus durch die alljährliche KV-Erhöhung ausmacht. Eigentlich eher, bis ich erzähle wieviel mein Gehaltsplus jetzt ausmacht. Und wie hoch mein Nettogehalt jetzt ist, nach der Erhöhung. Fast gleich hoch wie seiner nämlich. Obwohl ich 5 Stunden weniger arbeite in der Woche. Obwohl er so viel mehr macht, als er eigentlich müsste. Obwohl er sich so gut um seine Kunden kümmert. Obwohl er sich sogar um sie kümmert, wenn er gar nicht mehr müsste. Obwohl er auch Zuhause abends noch erreichbar ist, ausgestempelt, aber mit Freude im Herzen, weil er einer Frau mit ebenfalls gutem Herzen Bescheid sagen kann, dass sie die Wohnung bekommt. Ihre Freudenschreie höre ich bis an meinen Platz, trotz Handy am Ohr und knusprigem Brot im Mund. Obwohl er viel mehr Geld verdienen würde, bekommt er es nicht. Und muss jetzt in die Arbeit gehen, in dem Wissen, er wird nicht gewertschätzt. Obwohl er weiß, er muss sich dort unter seinem Wert verkaufen. Obwohl er weiß, dort wird sich nichts ändern.

Also steige ich aus und denke mir: Kann nur noch besser werden jetzt.

Wir feiern heute unsere Spätdezember- und Jänner-Geburtstagskinder. Das heißt wir organisieren ein kleines Beisammensein mit Anstoßen, Snacks und Blumenstrauß samt Geschenken. Und mit „wir“ meine ich mich.

Für die fünf Blumensträuße vom Geschäft gegenüber hole ich mir Verstärkung, alles danach geht alleine auch.

Insgesamt bin ich über eine Stunde am Weg. Aber danach ist alles so gut es geht bereitgestellt.

Vormittags habe ich ein paar Aufgaben eingeplant, aber der Plan wird über den Haufen geworfen: Der Heizungstechniker ruft nämlich an. Der Heizungstechniker hat anscheinend einen gewissen Interpretationsspielraum ausgenutzt, was es bedeutet, wenn ich am Telefon sage „Zwischen 12:00 und 17:00 Uhr würde es gehen.“ Es ist 09:30 Uhr. Mich muss spontan wer vertreten, beide die in Frage kommen sind in Besprechungen aber es nützt nichts, ich muss jetzt weg in den anderen Standort, in den Volkstreffer. Und eine dritte Arbeitskollegin hilft mir aus.

Also schnell noch den Schlüssel holen für Auto und Volkstreffer, runter in die Garage, ins Auto einsteigen und los geh…..ah. Stau. Stimmt. Da gibt’s nämlich eine neue Baustelle am Bozner Platz. Eine, die den Verkehr auf der Museumstraße zum Erliegen bringt. Aber egal, an der Situation kann ich auch nichts ändern, also genieße ich die verlängerte Zeit mit Musik im Auto. Bekanntlich ein ganz anderer Effekt, dieser Musik-im-Auto-Effekt.

Gut gelaunt steige ich aus, werfe brav ein und warte. Bis ein Mann vor der Tür steht, der eigentlich ganz bestimmt irgendwas mit Heizungen zu tun haben muss. Er hat was von einem Kaminkehrer. Eine Bürste hängt an seinem großen Rucksack, seine Tragetasche auch. Einen Schlauch hat er dabei. Außerdem hat er Arbeiterhände. Und Arme. Und eine Uniform.

Außerdem hat er echt schöne, blaue, helle Augen.

Inzwischen ist er auch schon drinnen, im Volkstreffer. Am Arbeiten an der Gastherme. Ich verzieh mich gleich und arbeite so gut es geht am Handy weiter. Lange wird es bestimmt nicht dauern, denke ich mir, naiv wie ich bin bei der ersten Gasthermenwartung meines Lebens.

Irgendwann kommt er zu mir an den Tisch, ich bringe ihm Kaffee und Wasser. Dann fängt er an seinem Laptop an zu tippen und hört nicht mehr auf. Ich bin auf einmal live im Berufsalltag eines Technikers dabei und hab echt nicht gedacht, dass das so ein Verwaltungsaufwand sein kann. Er ist ruhig, entspannt aber fokussiert. Auf Schienen auf Fahrt.

Ich fühle mich in ihn hinein, versuche sein Wesen abzuschätzen. Ich schätze er hat eine harte Schale und einen weichen Kern, den er gut beschützen muss. Er ist oft oder schwer verletzt worden und möchte das nicht noch einmal erleben. Ich schätze er hat ein gutes Herz, wenig Geheimnisse, wenig, das er bereut. Er lebt im Jetzt. Mit ihm kann man Spaß haben. Auf ihn kann man sich verlassen. Er hat einen Sohn, mit dem hat er – schätze ich – wenig Kontakt. Und ich schätze keine Frau dazu. Er ist ein ordentlicher, guter Mann. Er kümmert sich um sich selbst und gibt was es braucht, damit es ihm und seinen Lieben gut geht. Alles in geordneten Bahnen, keine Unklarheiten. Klar. Das schätze ich.

Er sagt irgendwann, dass er mich bestimmt aufhalte. Dann sage ich ihm, während wir uns in die Augen schauen, dass die Arbeit ganz bestimmt auch noch da ist wenn ich wieder komme. Wir lachen und er fragt, was ich dort eigentlich mache. Ich erzähle ihm, dass ich Anrufe annehme, Besucher versorge, Anträge auf finanzielle Unterstützung entgegennehme, Geburtstagswünsche an die Mitarbeiter organisiere, mich um unsere Mitglieder kümmere, Seniorennachmittage betreue, bei Eventorganisationen mithelfe und auch meine Arbeitskolleg:innen unterstütze, wo sie mich gerade brauchen. Darauf meint er: „Also das Mädchen für alles.“ grinst und sagt gleich darauf fast ohne Pause: „Mädchen wollte ich jetzt nicht sagen.“ und schaut mich entschuldigend an. Aber inzwischen habe ich schon gelacht und ihm mit festem und glücklichem Blick geantwortet: „Ja genau, das trifft es ganz gut.“

„Das kann ich mir bei dir aber gut vorstellen. Bei der Ausstrahlung die du hast, bist du da bestimmt richtig gut.“

Was für ein fundiertes, solides, schönes Kompliment. Nicht die Worte alleine, sondern das, was stumm mitschwingt. Die Worte sind nur leere Träger.

Ich freue mich und sage ihm von ganzem Herzen „Danke“.

Selbst wenn wir nichts mehr sagen bleibt der Augenkontakt noch Momente nach dem letzten Wort da. Kennt ihr das? Diesen Augenkontakt. Der Augenkontakt, der noch bleibt. Der noch spricht, obwohl wir schweigen. Ich höre zu, antworte aber nicht. Nehme nur auf. Sobald ich antworte beginnt für mich ein Spiel, das ich nicht mehr spielen will. Spannend, verführerisch, erotisch, unvergleichbar, aber auch schwer, verletzend, nicht notwendig, zerstörerisch…und unter anderem deshalb nichts mehr für mich.

Dieses Spiel läuft sogar in Form von einem Menschen am Fenster vorbei. Es ist ein Mensch, der das Spiel auch gespielt hat. Jemand, der jemanden betrügen ließ, geht am Fenster des Volkstreffers vorbei. Wie ein Streikschild, das das Universum hochhält und in einer Privatdemonstration vor mir schwenkt: „Das ist die FALSCHE Option.“

Der Techniker geht wieder, er meldet sich in den nächsten Tagen, vielleicht schon morgen. Er sagt „Dann kannst du wahrscheinlich eh nicht schlafen.“ Und bereut den Satz im nächsten Augenblick. Ich lache und erwidere etwas verdutzt und überrumpelt (deshalb umso beeindruckender finde ich): „Woher weißt du das denn?“ Er winkt aber nur ab, ist nervös und unsicher, kann sich auf meine Antwort nicht einlassen. Schade. Deshalb schieße ich nach: „Passiert dir das öfter?“. Er: „Nein, leider nicht.“

Während ich die Zeilen hier schreibe, frage ich mich, ob angeflirtet zu werden während der Arbeitszeit ein Problem sein wird für meinen Arbeitgeber, falls es jemand aus meiner Arbeit liest? Ich hoffe nicht! Aber was hätte ich tun sollen, er hat dort gearbeitet, alleine habe ich ihn nicht lassen können und an einen anderen Tisch setze ich mich bestimmt auch nicht. Eigentlich kann man sagen, ich war nur höflich.

So mache ich mich auf den Weg zurück in die Arbeit, lasse die Begegnung Begegnung sein und konzentriere mich auf die Aufgaben vor mir: Jour-Fixe, danach Jause und danach weiter zum Seniorennachmittag – wieder im Volkstreffer.

Natürlich alles etwas stressig, aber ich habe Hilfe dabei. Inzwischen kann ich stolz von mir behaupten, dass ich mir helfen lasse. Gar nicht so schlimm, das sich-helfen-lassen.

Aber ein bisschen vorgespult: Ich sitze wieder im Volkstreffer, diesmal mit Markus, unserem Clubvati, der sich immer Dienstags um die Senioren kümmert. Wir sitzen zuerst mit Laura und Magdalena – einer interessierten Nachbarin – zusammen zum Watten. Zum gefühlten zwanzigsten Mal mindestens versucht jemand, mir dieses Kartenspiel beizubringen. Der arme Markus gibt alles. In der Hoffnung, diesmal bleibt etwas hängen.

Hoffentlich zumindest bis zum nächsten Seniorennachmittag, den ich veranstalte. Dort gibt es bestimmt ein paar Watter, die von meinem Wissen profitieren können.

Danach sind wir beide ein bisschen alleine und spielen Rummy. Mama bringt mir das Spiel als Kind bei, deshalb fühlt es sich schön an.

Es ist interessant, Menschen kennenzulernen, indem ich mit ihnen spiele. Markus fragt nach einer Regel – ob wir die Joker nur in der jeweiligen Farbe (violett, schwarz, grau und grün…) einsetzen sollen oder ob sie überall gelten (also zum Beispiel ein violetter Joker bei einer schwarzen Zahlenreihe). Ich überlege schwer – halte ich mich an die Regeln oder scheiß ich auf sie? Ich persönlich halte mich gern daran, denke aber, dass Markus sich nicht gern an sie halten möchte. Deshalb sage ich „Ach, ist nicht so tragisch. Scheiß drauf, du kannst ihn überall verwenden.“

Falsch gedacht. Er legt den Joker erst mit der richtigen Farbe raus.

Er hält sich also gern an Regeln. Gut zu wissen 🙂

Ich lasse ihn um halb vier alleine und mache mich auf den Weg nach Hause zu der letzten Yogastunde bei der Volkshochschule, die ich dort gebe.

Dazwischen haben Ben und ich kurz Zeit für eine Abendjause. Für mehr bleibt keine Zeit, wir müssen beide wieder los, genießen aber die eine Stunde gemeinsam, bis er mich mit einer kleinen Bemerkung verunsichert. Aber es nützt nichts, ich muss weg zum Yogaunterricht. So bleibt die Unsicherheit zwischen uns hängen. So sehr, dass ich sogar vergesse, mit meinen Schülern den Sonnengruß direkt nach den Atemübungen zu praktizieren. Halb so wild, dann eben erst vor der Endentspannung.

Dienstag war auch schon die letzte Stunde der Dienstagsgruppe, heute die der Donnerstagsgruppe.

Die Dienstagsgruppe hat mir Geschenke mitgebracht: einen kleinen Blumenstock, eine Kerze, belgische Schokolade, ein Schaumbad. Zu Weihnachten habe ich eine Krippe von einer Schülerin bekommen, von einer anderen Kekse, zum „Einstand“ sozusagen ein kleines Säckchen mit Duftkerzen. Die Dienstagsgruppe hat es schwerer getroffen. Ich bin auch traurig um die Schülerinnen, ihnen wünsche ich nur das Beste.

Ich möchte mich zum Schluss eigentlich noch bei ihnen bedanken, aber es sind alte Ratschkattln. Sie lassen mich nicht ausreden – ich liebe es. Schön war es mit ihnen. Sie haben mir viel beigebracht.

So auch die Schülerinnen der Donnerstagsgruppe. Aber das ist eine Geschichte für ein anderes Mal.

Heute ist es vorbei, ich nehme passenderweise einen Umzugskarton mit in den Raum, um meine vier Sitzkissen mit nach Hause zu nehmen.

Dann ab nach Hause, wo ich alleine bin.

Im Fernsehen schaue ich eine Doku über das Dachsteingebirge. Faszinierende Berge, Ausblicke, die mich sofort auf den nächsten Gipfel stürmen lassen wollen.

Dann: Schreiben.

Dann: Eine Whatsapp-Nachricht von einer ehemaligen Arbeitskollegin. Sie hat meinen Bericht „Schwanger oder nicht schwanger“ gelesen und möchte mit mir ihre Erfahrungen teilen….

Es sind die Umstände unserer Beziehung, die diese Nachricht so besonders machen. Sie schult mich damals ein, zeigt mir alles, was ich wissen muss, in einem Tempo, das mich zeitgleich ein Handbuch verfassen lässt, das bald über 100 Seiten zählt. Außerdem ist sie diejenige, die mich in der Horde von Frauen dort in ihren unsichtbaren Schutz nimmt. Mit kleinen Worten und Taten zeigt sie mir damals ihr Vertrauen und damit ihre Wertschätzung. So empfinde ich es zumindest und dafür bin ich ihr dankbar. Leider lässt Homeoffice unsere Beziehung nicht weiter wachsen. Es lässt keine Beziehung zu meinen Arbeitskolleginnen wachsen. Homeoffice lässt das nicht zu. Ich lerne sie nicht kennen und sie mich nicht. Wir haben keine Gelegenheit dazu, was mich unsicher macht. Unsicher, gestresst und unglücklich. Wir haben keine Geschichte. Deshalb sinkt meine psychische Stabilität auf ein Tief, wie ich es schon kenne. Alles wiederholt sich damals. Davon erzähle ich ein anderes Mal. Ich weiß nicht mehr, was sie alle an diesem Tag zu mir gesagt haben, ich weiß aber, dass sie, die mir heute geschrieben hat, mich gefragt hat, ob ich jemanden zum Reden hätte. Mir fällt nur wegen ihrer Frage meine Therapeutin ein. Nur wegen ihrer Frage, weiß ich in diesem kurzen Moment, was ich zu tun habe: Ich muss zum zweiten Mal eine Therapie beginnen. Und dieses Mal wird es besser laufen, weil ich jemand anders bin inzwischen. Und genauso war es.

Dankbarkeit und Liebe fließt deshalb aus mir hinaus bei den Worten von ihr. Dankbarkeit und Liebe fließt deshalb hinaus und strahlt direkt hoch ins Universum. Dankbarkeit für die Verkettung der Umstände, die mich zu ihr geführt haben und sie jetzt zu mir führen. Dass sie den Artikel liest, den ich mich getraut habe zu schreiben. Dankbarkeit für die Plattform hier, den Raum, die Worte loszulassen und zu teilen. Damit sie Andere berühren und sich wiederfinden in den ganzen anderen Leben.

So viel ist heute passiert, dass der Tag eigentlich 40 Stunden gehabt haben muss.

Das Universum hatte heute eine klare Sprache.

Diese Tage stimmen mich immer voller Zuversicht aufs Morgen.

Wir werden sehen, was der Tag bringt.


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